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Inspirierend und Bemerkenswert - die 5. Fachtagung zur Kindersicherheit auf Spielplätzen

Mit den Schlagworten Spielwert – Inklusion – Normung beschreibt sich die Fachtagung zur Kindersicherheit auf Spielplätzen, die in diesem Jahr zum fünften Mal, durchgeführt von „Maßstab Mensch“ stattgefunden hat. Unter dem Motto „Vielfalt erleben“ trugen Spezialistinnen und Spezialisten der Branche Informatives und Inspirierendes zu verschiedensten Themen vor. Per Online-Stream konnten wir in diesem Jahr zum ersten Mal live dabei sein. Die spannendsten Erkenntnisse und merkenswerte Aussagen möchten wir im Folgenden zusammenfassen.

Inklusion – was, wo, wie?

„Nicht Alles für alle, aber für Jeden etwas!“ – dieser Satz blieb besonders hängen. Denken wir an „inklusive Spielgeräte“ drängen sich leider noch häufig Bilder von Einzelgeräten ,mit denen Spielplätze „möbliert“ werden, auf: Das Rolli-Karussell, die Rolli-Schaukel oder auch die Rolli-Rutsche mit Steg und extra Einsitz.

“ Aus Sicht der Bauherrenschaft ist Inklusion oftmals mit (normativer) Barrierefreiheit gleichgesetzt  - alles, was darüber hinausgeht, verursacht gefühlt Zusatzkosten“ Dl Dr. Philipp Rode, GF zwoPK Landschaftsarchitektur

Mit der Inklusionsmatrix, welche in der neuen Ausgabe der DIN 18034 fester Bestandteil einer Spielplatzplanung werden wird, sollen diese Bilder nach und nach durch andere ersetzt werden.

Im Rahmen der Fachtagung erstatteten Frau Michaela Hillebrand (Dipl. Sozialpädagogin (FH), Jugendhilfeplanung „Spielen in der Stadt“ in Nürnberg) sowie Herr Sebastian Ertel (Landschaftsarchitekt BayAK, Servicebetrieb öffentlicher Raum der Stadt Nürnberg) Bericht über die Erfahrungen der Stadt Nürnberg nach einem Jahr Anwendung der Inklusionsmatrix.

Seit 2022 wird jede Neuplanung, bzw. Generalsanierung von Spielflächen in Bezug auf Inklusion und Qualität geprüft. Zusätzlich dazu verpflichtet sich die Stadt Nürnberg, jegliche Planung von Spielplätzen partizipativ in Form von Beteiligungsverfahren zu entwickeln. Dies führt – so Hillebrand und Ertel – zwar zu einem höheren planerischem Aufwand, es finden allerdings auch viele wichtige Diskussionen zwischen der Kommune, den Planenden und den Spielgeräteherstellern statt. Und das bleibt nicht unbelohnt: Die Qualität der Spielflächen sowie auch die Inklusionswerte steigen laut Hillebrand und Ertel deutlich!

Doch was genau beinhaltet die Inklusionsmatrix und warum hilft sie dabei, Spielflächenplanung für Alle zu verbessern?

Einer der Kerngedanken der Inklusionsmatrix ist es, die bisher vorherrschende Sichtweise zu drehen. „Weg von der Behinderung, hin zu den Fähigkeiten und Fertigkeiten“ – so Peter Schraml (Dipl.-Ing. (FH) Architektur, Geschäftsführer Massstab Mensch, Organisator der Fachtagung) in seinem Vortrag zur Anwendung der Inklusionsmatrix.

Mithilfe der Matrix können Spielplätze anhand von gesetzten Kreuzen bewertet werden. Jedes gesetzte Kreuz steht für ein erfülltes Kriterium. Mit Erfüllung bestimmter Prozentanteile kann der Spielplatz die Stufen 1-3 erreichen – von der Erfüllung grundlegender Anforderungen (Stufe 1) bis zur Erfüllung weitere Anforderungen und Aspekte (Stufe 2-3).

Die wichtigsten Kriterien in der Matrix sind die Frage nach dem 2-Wege Prinzip und dem 2-Sinne Prinzip. Das 2-Weg-Prinzip überprüft, ob das jeweilig zu bewertenden Gerät oder der Gesamtplatz über mindestens 2 verschiedene Wege erreichbar ist, davon sollte einer berollbar sein. (Achtung: Da wir uns auf einem Spielplatz befinden, müssen nicht zwingend die Kriterien der Barrierefreiheit im sonstigen öffentlichen Raum angewandt werden – demnach kann eine eventuelle Rampe auch mal mit mehr als 6% Steigung ausgeführt werden!)

Kommt das 2-Sinne-Prinzip zur Anwendung, sind Spielgeräte oder Gesamtplätze erreich- bzw. nutzbar indem unabhängig voneinander zwei verschiedene Sinne genutzt werden. Zusätzlich zum Sehen sollte also auch der Tast-, Hör- ,Geruchs-, oder Geschmackssinn angesprochen werden, um ein Gerät zu erreichen oder zu nutzen.

Weiterhin in der Matrix abgefragt werden die an jeder Spielstation möglichen Sinneserfahrungen (Hören, Sehen, Fühlen, Tasten, Riechen, Schmecken, Gleichgewicht), Bewegungserfahrungen (Koordination, Geschwindigkeit, Höhenerfahrungen) und die sozialen Aspekte (Kommunikation, Selbstwahrnehmung, Gruppenspiele, Einzelspiel, Begegnungsmöglichkeiten).

Je nachdem, wie viele der Kriterien als „erfüllt“ markiert werden, wird die jeweilige Spielstation und damit auch der Gesamtplatz bewertet. Im Falle der Stadt Nürnberg sollten alle Spielplätze mindestens die Bewertungsstufe 1 erreichen, um den Ansprüchen der Inklusion gerecht zu werden.

Um die von uns geplanten Spielgeräte und Spielflächen inklusiv zu gestalteten, werden wir die Inklusionsmatrix für zukünftige Projekte anwenden und beraten auch gerne Planerinnen und Planer in der Anwendung, bzw. Umsetzung. Oft – so unser Fazit aus den Vorträgen zum Thema Inklusion – sind es nur kleine Stellschrauben an denen mit wenig Aufwand eine große, positive Veränderung für alle Beteiligten und Betroffenen erzielt werden kann. Wir finden: es lohnt sich!

Unsere Empfehlung zum Thema: Die Nürnberger Leitlinien für Qualität und Inklusion auf Spielflächen

Partizipation in der Spielraumgestaltung – Spielplatzbau mit Laien.

Geht das? Darf das?

Dipl. Ing. Landespflege Markus Brand macht es vor und berichtet darüber im Rahmen der Fachtagung. Er erinnert dabei an die oft vergessene DIN 18034 und zitiert: „Bei der Nutzerbeteiligung ist es wichtig, dass sich die Bevölkerungsstruktur adäquat widerspiegelt, so dass die Interessen von Kindern unterschiedlichen Geschlechts, unterschiedlicher Altersgruppen und Fähigkeiten sowie verschiedener sozialer Schichten berücksichtigt werden.“ In der Praxis ist es wichtig, so Brand, sich immer wieder klar zu machen, dass unsere Sicht auf Spielflächen meist eine Erwachsenensicht ist. Er sieht Partizipation als essentiellen Teil der Planung. Mit dem Verein „Ideenwerkstatt Lebens(t)raum e.V.“ setzt er den Beteiligungsgedanken fort und baut gemeinsam mit Laien naturnahe Spielräume. Dabei entsteht nicht nur ein Spielplatz, sondern auch Naturverständnis, die Erkenntnis ökologischer Zusammenhänge, eine tiefgreifende Zufriedenheit nach geschaffter Arbeit und eine Stärkung des Gemeinschaftsgefühls – so Brandt in seinem Vortrag.

Stellen wir uns Rampen, Balancierstrecken, Kletterlandschaften und Türme vor, die von Eltern, freiwilligen Helferinnen und Kindern vor Ort gestaltet und gebaut werden, drängen sich natürlich Fragen nach den normativen Grundlagen auf. Können solche Plätze überhaupt gemäß der DIN 1176 freigegeben werden? In der Praxis erlebt man tatsächlich häufig, dass Prüferinnen und Prüfer mit der gleichen Ausbildung und auf Grundlage derselben Norm zu völlig unterschiedlichen Prüfergebnissen kommen. Dies führt für den Träger und Betreiber der Spielfläche schnell zu Verunsicherung und eventuellen Mehrkosten und häufig auch zu einem Verlust von Spielwert. Vor allem bei der Erstabnahme von möglicherweise ungewohnten, unüblichen, unkonventionell gestalteten und gebauten Spielräumen können unterschiedliche Meinungen bzgl. der Auslegung der anzuwendenden Normen entstehen. Brand vermutet, dass dies eventuell mit den individuellen Erfahrungen sowie dem sozialen Hintergrund und auch einer beständig wachsenden Angst vor Haftungsansprüchen bei Prüferinnen und Prüfern zusammenhängt.

„Keine Risiken eingehen ist das größte Risiko für Verletzungen“ (Dr. Herbert Renz-Polster, Kinderarzt)

Wie verhält es sich zum Beispiel mit Baumstämmen, die bei Nässe schnell rutschig sind?
Wie sind mit Felsen modellierte Hänge, oder große Natursteine zum Beklettern sicherheitstechnisch zu bewerten?

Tatsächlich ist es so, dass Unfallkassen den Einbau von großen Steinen auf Spielplätzen begrüßen, so Brand dazu in seinem Vortrag – „weil es für Kinder präventiv ist, sich im Klettern über Stock und Stein zu üben.“ Des weiteren zitiert Brand ein Urteil des Bundesgerichtshofs bezüglich einer Haftungsfrage auf Spielplätzen, in welcher Richter die Auffassung vertraten, dass „Kinderspielplätze auch in besonderer Weise die Freude am Abenteuer und am Bestehen eines Risikos vermitteln sollen. Denn für Kinder, die niemals gelernt haben mit risikoreichen Situationen und Gefahren umzugehen, kann auch der sicherste Spielraum zur Gefahr werden“. (vgl. BARZ H-P., Spielraum für alle? S. 13, in AGDE G., DEGÜNTHER H., HÜNNEKES A. 2008: Spielplätze und Freiräume zum Spielen. Berlin: Beuth Verlag).

 

Zwei Tage Fachtagung gingen zu Ende, und wir waren voll von tollen Inspirationen, wertvollen Überlegungen, neuen Ansätzen und Ideen zur Umsetzung. Wir hoffen, wir konnten ein wenig des Schwunges, den die Tagung unseren Gedanken verliehen hat, durch diese Worte zu Ihnen an den Schreibtisch transportieren.

Und nun – frei nach den Worten von Tagungsleiter Peter Schraml zu Beginn der Pausen: Wir gehen spielen.

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